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Die Tracht in München – Bayrisch zum Anziehen

Lederhosen in München

Phänomen Wiesntracht

Es sind die Wochen des Oktoberfests, wenn die Trachtendichte in München besonders dramatisch ansteigt, sie zu tragen ist ein ungeschriebenes Gesetz unter den Wiesn-Besuchern. Der Trend begann in den 00er-Jahren, heute wird man ohne Dirndl und Hirschlederne zwar ins Zelt gelassen, dennoch fühlt man sich in Zivil bissl einsam.

Darunter ist jedoch kaum eine echte bayrische Tracht, eher das, was sich die Leute darunter vorstellen. Viele wankende Neuseeländer in gänzlich entbajuwarisierten 60-Euro-Komplettpaketen vom Discounter, das (dieses Jahr) teuerste Dirndl in der Promibox kostete sagenhafte 42.600 Euro – waren ja immerhin auch echte Perlen und Diamanten dran. Besondere Erheiterung verursachten bei den Moderedakteurinnen der Süddeutschen die Outfits von Patricia Blanco und Natacha Tannous (Stand Oktober 2018: Ballacks Freundin).

 

Die originale Münchner Tracht

Will man sich eine richtige Tracht anschauen, geht man lieber zum Trachten- und Schützenumzug. Dann kann man die Vielfalt der Stoffe, Muster und Verzierungen Münchner und oberbayrischer Trachten bewundern. Die beiden Trachtenvereine Lechler und Die schöne Münchnerin zeigen Gewänder, wie sie die Landbevölkerung zu Festtagen im Biedermeier trug, also zwischen 1820 und 1840. Diese gelten als echte Münchner Tracht und die letzten authentischen Exemplare ihrer Art, denn ab da zog die Tracht in die Welt der Mode ein. Oder andersherum.

In jedem Fall begann damals ein erster Trachten-Hype. Die höfische Gesellschaft spielte mit ihren Elementen und Städterinnen ließen sich für die Sommerfrische Kleider schneidern, die von Magdgewändern inspiriert waren. Tracht wurde zu einem Symbol für das einfachen Landleben in Bayern, eben dort, wo die Welt noch in Ordnung ist. Romantisiertes Rüstzeug gegen die Moderne.

Schon Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Klagen, dass es sich bei all dem nur noch um Folklore dreht – stimmte ja auch und deswegen sollte man über die heutigen Partytrachten nicht gar zu sehr die Nase rümpfen. Patricia Blanco steht in fast 200-jähriger Tradition.

 

Laptop und Lederhosen

Im 19. Jahrhundert wurde ein großer Teil des heutigen Bayernbildes geprägt, wie man es heute liebt und inszeniert. Tracht, oder was auch immer man darunter versteht, war immer ein Bestandteil davon. Heimatgefühl und -stolz schwingt bei ihr mit – das ist die Macht der Tracht, welche die Oberen auch zu nutzen wusste.

Ministerpräsident Josef Strauß machte das Trachtengwand zur Arbeitskluft bayrischer Politiker und bis heute fehlt es bei keiner Wahlveranstaltung. Auf bundesdeutscher Ebene verursachte die Tracht letztens aber ein kleines Twitter-Scharmützel. Als Digitalstaatsministerin Dorothee Bär im Bundestag einmal ein Dirndl trug, kam prompt die Reaktion auf Twitter: Die Bayern finden’s passend, der Rest der Welt rückständig.

Diesen Dünkel hat die Tracht eigentlich längst hinter sich gelassen. Bei den Olympischen Spielen 1972 blickte die Welt auf dirndltragende Hostessen und schuhplattlnde Trachtler, allerdings vor der avantgardistischen Kulisse des Olympiageländes; rentiert hat sich das nicht nur für Silvia Sommerlath, heute bekannt als Königin Silvia von Schweden. Man präsentierte Bayern erstmals in seiner geschickten Mischung von Tradition, Moderne und Weltoffenheit – eben mit „Laptop und Lederhosen“.

 

Ich sehe Bombe aus im Dirndl

Das führt uns zurück zur Jugend und den vogelwilden Kreationen der Münchner A- bis C -Promis. Sicherlich, in den Trachtenvereinen engagieren die sich kaum bis gar nicht – Traditionspflege in dieser Form ist eher nicht das ihre. Für sie ist Tracht meist das Outfit für’s Volks- und Oktoberfest.

Das Dirndl verschleiert schönerweise unliebsame Konturen und Problemzonen und optimiert jedes Dekolleté; bei kurzen Lederhosen und Wadlstrümpfen verhält es sich vorne wie hinten nicht anders.

Aber abgesehen davon. Wir leben in einer Zeit, in der ferne Länder näher sind denn je und mobile Arbeitskonzepte zum Alltag gehören. Gerade in München wurde die Tracht in den letzten Jahren wiederentdeckt, als Zeichen dafür, dass man seine Heimat (ob hineingeboren oder gewählt) liebt und auch ein Stück weit stolz darauf ist. Und wir finden das großartig.

Ihr Team vom Spurwechsel-Blog